Von namhaften Influencern lernen
Führungskräfte müssen andere Menschen für sich und ihre Ideen begeistern, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Wie man Follower gewinnt und zur Schlüsselperson in einer Community wird, das zeigen die bekannten Influencer nicht nur im Netz.
Eine Führungskraft muss sicherstellen, dass ihr Bereich seinen Beitrag zum Erfolg des Unternehmens leistet. Das ist die Kernaufgabe von Führung. Doch wie gelingt dies einer Führungskraft? Indem sie sich als „Lonely Hero“ zu Tode schuftet und alles überwacht? In der Regel nicht! Erfolgreich sind Führungskräfte heute, wenn sie ein Team von Mitarbeitern bzw. Mitstreitern um sich scharen, das sich gerne für das Erreichen der Ziele engagiert. Oder anders formuliert: Führung heißt heute engagierte Follower finden, denn: Führungskräfte sind nur solange Führungskräfte, wie andere Menschen ihnen und ihren Ideen folgen. Folgen ihnen keine Personen (Mitarbeiter, Kollegen usw.) mehr, sind sie auch keine Führungskräfte mehr.
Dieses Schicksal teilen Führungskräfte mit den Influencern in den Social Media. Auch sie sind nur solange Influencer wie sie Follower haben. Deshalb lohnt es sich für Führungskräfte zu analysieren, wie diese Personengruppe Menschen als Follower gewinnt und an sich bindet. Aus meinen Beobachtungen und Erfahrungen habe ich sechs Influencer Leadership-Prinzipien abgeleitet.
Prinzip 1: Handle mit dem Mut eines Künstlers.
Für Künstler gleich welcher Couleur gilt wie für fast keine andere Berufsgruppe: Ihr Marktwert bestimmt sich oft weniger über ihr Können als ihre Bekanntheit und die Zahl der Personen, die sich von ihnen bzw. ihrem Werk inspirieren lassen – und hierfür müssen sie oft auch bei ihrer Vermarktung neue Wege gehen. Im Internet-Zeitalter führt dabei an den Social Media fast kein Weg vorbei.
Ein Klassiker ist diesbezüglich der südkoreanische Rapper Psy, der im Juli 2012 das Video zu seinem Song „Gangnam Style“ bei YouTube online stellte. Dieser parodiert den verschwenderischen Lebensstil, den man angeblich im Bezirk Gangnam der Hauptstadt Seoul pflegt. Den Song und das Video fanden viele Menschen weltweit so „irre“, dass sie ihrerseits Parodien auf das Video von Psy erstellten und ins Netz stellten. Das war möglich, weil der Rapper auf alle Verwertungsrechte an seinem Video verzichtete. Jeder konnte also ungestraft Fragmente von ihm für eigene Videos nutzen und so indirekt zur Vermarktung von Psy beitragen. Die Folge: Das Originalvideo wurde nur knapp zwei Monate nach seinem Erscheinen, als das Video mit den meisten „Likes“ in der YouTube -Geschichte ins Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen. Und im März 2021, also knapp 8,5 Jahre später, hatte das YouTube-Video insgesamt über vier Milliarden Aufrufe.
Ein weiterer Künstler, der ohne die Social Media und eine gute Selbstinszenierung wohl nie seinen heutigen Weltruhm erlangt hätte, ist der chinesische Konzeptkünstler und Menschenrechtler Ai Weiwei. Er wurde nach regierungskritischen Äußerungen in China von April bis Juni 2011 inhaftiert und hatte bis 2015 Reiseverbot. Nach dessen Aufhebung lebte er bis 2019 in Berlin. Er „vermarktete“ nach seiner Freilassung multimedial seine Inhaftierung. Heute gilt Ai Weiwei als einer der wichtigsten Künstler der Gegenwart, auch weil er für seine Kunst immer wieder Sujets wählt, bei denen schon vorab klar ist: Diese werden polarisieren und eine entsprechend große Resonanz in den analogen und digitalen Medien finden. Der Konzeptkünstler weiß aber auch, wie man Geld verdient. So schloss er zum Beispiel 2020 mit der Baumarktkette Hornbach einen Werbevertrag ab, der u.a. vorsah, dass diese ein Kunstwerk von ihm zum Selbstbauen anbietet; hergestellt aus Hornbach-Produkten. Ai Weiwei begründete diesen Deal – ganz in der Tradition eines anderen genialen Selbstvermarkters und -inszenierers, Joseph Beuys – mit der „Demokratisierung“ von Kunst.
Auch unter den deutschen Künstlern und Show-Größen gibt es viele, die gekonnt mit den Medien spielen. Hierzu zählt der Entertainer und Fernseh-Journalist Jan Böhmermann, der regelmäßig die Grenzen der Satire auslotet. Ihn kennt spätestens seit dem 31. März 2016 fast jeder, als er in seiner Late-Night-Show ein Gedicht über Recep Tayyip Erdoğan vortrug, in dem er den türkischen Präsidenten als sackdoof, feige und verklemmt sowie als Ziegenficker bezeichnete – was einen medialen und politischen „Sturm im Wasserglas“ auslöste.
Ein für Führungskräfte interessantes Fallbeispiel ist auch der Fernsehmoderator Kai Pflaume, dessen Karriere 1993 mit der RTL-Show „Nur die Liebe zählt“ begann und der in der Medienwelt eigentlich zum alten Eisen zählte. Er betreibt seit April 2020 den YouTube-Kanal Ehrenpflaume, auf dem er in 30- bis 90-minütigen Videos erfolgreiche deutschsprachige Influencer einen Tag begleitet. Der Kanal hatte im März 2021 über 565.000 Abonnenten und über 20 Millionen Videoaufrufe. Und der 1967 geborene Kai Pflaume? Er ist aufgrund seines strategisch klugen Schachzugs, sich über seinen YouTube-Kanal mit der Influencer-Szene zu „connecten“ heute auch bei den Angehörigen der Generation Y und Z Kult.
Allen genannten Kunstschaffenden ist gemeinsam:
- Sie beschreiten bei ihrer Selbstvermarktung und teils auch Arbeit neue Wege. Und:
- Sie loten im Umgang mit den Medien und ihren Followern immer wieder aus, was geht und wie man die größte bzw. gewünschte Wirkung erzielt.
Gerade weil Kunstschaffende oft Regeln brechen und Routinen hinterfragen, können Führungskräfte von ihnen viel lernen. Künstler stehen für Veränderung wie Manager für Zukunft, und hier wie dort gilt es oft, gewohnte Pfade zu verlassen.
Kunstschaffende gehen dabei meist intuitiv und experimentell vor – ohne erkennbare Furcht vor Fehlern. Auch Führungskräfte müssen, wenn sie Zukunft gestalten möchten, oft auf ihre Intuition vertrauen. Influencer-Leader wissen:
- Manchmal muss man experimentieren, um sich einem Ziel zu nähern. Und:
- Aus Angst vor Fehlern nichts zu tun, ist meist die schlechteste Lösung.
Deshalb inspirieren und ermutigen sie die Personen in ihrem Umfeld dazu, auch Neuland zu betreten. Zudem sind sie wie Kunstschaffende mit ihrem Denken und Handeln oft ihrer Zeit voraus.
Prinzip 2: Sei nahbar.
Nur wenn ich andere Menschen auch emotional erreiche, folgen sie mir und meinen Ideen. Das wissen Spitzen-Verkäufer. Entsprechend inszenieren sie sich. Ein Spitzen-Verkäufer war auch Steve Jobs, dessen öffentliche Auftritte, wie zum Beispiel 2007 als Apple das erste iPhone in den Markt einführte, legendär sind. Jobs inszenierte sich bei ihnen gezielt als Marke. Zum Beispiel, indem er stets einen schwarzen Rollkragen-Pulli trug und dazu meist Jeans – zu einer Zeit als sich die deutschen CEOs noch nur in Anzug und Krawatte aus dem Haus wagten. Auch ansonsten präsentierte er sich als ein Mensch, der anders ist. So war zum Beispiel allgemein bekannt, dass er Veganer, Buddhist und ein Bob Dylan-Fan ist. Auch dies trug dazu bei, dass Jobs und mit ihm die Marke Apple für viele Leute Kult waren, und es für sie sozusagen ein „Muss“ war, mit einem Mac statt normalen PC zu arbeiten.
Steve Jobs war ein extrem erfolgreicher Influencer, obwohl es zu seinen Hochzeiten noch keine Social Media gab. Als Steve Jobs im Social Media-Zeitalter kann man Elon Musk bezeichnen, ohne den der Tesla-Konzern nie seinen heutigen Börsenwert erreicht hätte. Allein in den letzten zwei Jahren stieg er auf das 15-fache und machte Musk zur reichsten Person der Welt. Hierzu trug auch bei, dass er sich crossmedial als visionärer Denker und Macher inszeniert. Musk gilt als ein Technik-Freak, der Träume nicht nur träumen, sondern auch realisieren kann – egal, ob es darum geht, mit Tesla die Mobilität zu revolutionieren oder mit seinem Unternehmen SpaceX die Kosten des Weltraumtransports so weit zu senken, dass sich Menschen auf anderen Himmelskörpern ansiedeln können. Doch nicht nur deshalb ist Musk ein Idol für viele technikverliebte Männer, sondern auch aufgrund solcher Eigenheiten wie, dass er seinen Sohn „X Æ A-12“ (nach einem Spionageflugzeug) nannte und eines seiner Hobbies das Fliegen von Kampfjets ist. Dies erzeugt bei manchen seiner „Fans“ das Gefühl: Das ist ein echter Mann. Entsprechend gerne folgen sie ihm.
Das heißt, Influencer bauen eine Beziehung zu Personen auf, indem sie sich auch als Mensch zeigen und Privates teilen. Dabei ist jedoch oft unklar, was authentisch und was ein Teil der Selbstinszenierung ist, um die gewünschte Wirkung zu erzielen.
Auch Führungskräfte sollten partiell zeigen, welche Privatperson hinter ihrer beruflichen Rolle steckt, denn: Menschen folgen Menschen – insbesondere solchen, mit denen sie Ähnlichkeiten entdecken. Weiß ein Mitarbeiter zum Beispiel, dass seine Führungskraft auch regelmäßig ins Fitnessstudio geht, entsteht zwischen ihnen ein unsichtbares Band. Und gibt eine Führungskraft Dinge über sich preis, sind auch ihre Mitarbeiter eher hierzu bereit. Die verbindenden Gemeinsamkeiten können sich aus Hobbies, persönlichen Vorlieben, aber auch ähnlichen biografische Erfahrungen ergeben. Oder aktuell aus dem weitgehend selben Erleben von Corona.
Solche Selbst-Offenbarungen von deutschen Top-Managern sind in den allgemein zugänglichen Social Media noch sehr selten. Zwar sind einige Personen mit exponierten Positionen in ihren Unternehmen in ihnen recht aktiv. Doch bei ihnen ist meist unklar: Was ist das Ziel ihres Social Media Auftritts? Oft dient er primär der Imagewerbung für ihr Unternehmen – sei es als Arbeitgeber oder Lieferant. Auf alle Fälle sind die primären Adressaten nicht die eigenen Mitarbeiter und Kollegen. Hierfür sind solche Medien wie YouTube, Twitter, Instagram & Co auch eher ungeeignete Kanäle. Hierfür bieten sich eher solche Enterprise Social Network Tools wie Yammer von Microsoft (Schnittstelle mit Teams), Facebook Workplace und Google+ an, die zunehmend die Funktion der Chatforen im Intranet der Firmen übernehmen.
Prinzip 3: Inszeniere dich als Marke.
Erfolgreiche Marken sprechen auch Gefühle an: Eine Harley Davidson ist nicht nur ein Motorrad, sie steht für Freiheit. Bei Personen-Marken verhält es ebenso: Sie erzeugen Gefühle und stehen für ein Versprechen. Sie vermitteln Werte und schaffen Orientierung und prägen so die Identität ihrer Fans mit.
Wohl keiner Person gelang dies in jüngster Zeit so eindrucksvoll wie Greta Thunberg. Die schwedische Umweltaktivistin stand 2019 auf der Liste der 100 influence-stärksten Persönlichkeiten des Jahres, sprach vor den Mächtigen der Welt und erhielt den alternativen Nobelpreis. Warum? Weil ihre Botschaft unter die Haut geht: „Ich bin laut, weil ihr – mit dem Klimawandel – meine Zukunft klaut.“
Greta Thunberg ist auch deshalb eine extrem erfolgreiche Influencerin, weil es der inzwischen 18 Jahre jungen Frau primär um ihre Botschaft und den Appell „Wacht auf“ geht. Sie will etwas bewirken. Anders die kommerziellen Influencer in den Social Media. Sie wollen primär Follower und Likes haben, um Umsatz zu genieren. Diesem Ziel dient auch ihre Selbstinszenierung. Deshalb werden zum Beispiel ihre Selfies in der Regel so nachbearbeitet, dass sie möglichst spontan und natürlich wirken. Das heißt, die von ihnen suggerierte Authentizität ist in Wahrheit eine Marketingmasche.
Deshalb sollten sich Führungskräfte eher von einer Influencerin wie Greta Thunberg inspirieren lassen als von solchen, die primär für sich sowie Schminke und ähnliche Produkte werben. Denn Führungskräfte haben mit ihren Followern, also ihren Mitarbeitern oder Kollegen, stets auch persönlichen Kontakt. Und in ihm wird für ihre Follower schnell erkennbar, ob ihre Inszenierung in den Online-Medien echt, also ihrer Persönlichkeit entsprechend, oder „gekünstelt“ ist. Erweist sich eine Inszenierung im persönlichen Kontakt als Fake, zerstört dies Vertrauen.
In der Selbstinszenierung und Online-Kommunikation von Influencer-Leadern sollte sich stets die reale Person widerspiegeln. Ein „Sich-verbiegen“ ist nicht nötig. Sogar Personen mit authentischen Zügen können wichtige Influencer sein, sofern sie glaubhaft sind, eine Botschaft haben und erkennbar für gewisse Werte stehen. Das beweist Greta Thunberg.
Auch Führungskräfte sollten bei ihren Social Media- oder Online-Auftritten erkennbar für bestimmte Grundüberzeugungen und -haltungen stehen – zum Beispiel:
- „Ich bin zuverlässig. Auf meine Aussagen ist Verlass.“
- „Ich bin bereit, neue Wege zu gehen.“
Außerdem sollten sie ihren „Followern“ ein Leistungsversprechen geben – zum Beispiel:
- „Ich binde Euch in meine Entscheidungsprozesse, soweit möglich, ein.“ Oder:
- „Wenn es hart auf hart kommt, stehe ich hinter Euch.“
Prinzip 4: Kommuniziere cross- bzw. multimedial
Auffallend ist bei fast allen erfolgreichen Influencern, die keine reinen Selbstinszenierer sind, auch: Sie stehen für ein bestimmtes Thema, selbst wenn sie in ihren Posts auch über ganz andere Dinge parlieren. So zum Beispiel die Bloggerin und Podcasterin „Madame Moneypenny“, die unter den Frauen im gehobenen Mittelstand viele begeisterte Follower hat. Ihr Thema ist „Geldanlage und Vermögensaufbau für Frauen“. Mit diesem Thema ist die Beraterin Natascha Wegelin, die hinter Madame Moneypenny steckt, in fast allen Social Media präsent. Sie schrieb zudem mehrere Bücher zum Thema und wird häufig auf den Ratgeberseiten von Zeitschriften zitiert. Zudem hält sie regelmäßig öffentliche Vorträge. Durch diese Verknüpfung von digitaler und analoger Kommunikation hat sich Madame Moneypenny zu einer echten Marke entwickelt; ebenso wie Sascha Lobo.
Ähnlich verhält es sich mit Frank Thelen. Der Gründer und Geschäftsführer der Risikokapital-Firma Freigeist Capital GmbH wurde einer breiten Öffentlichkeit durch die Fernsehsendung „Die Höhle der Löwen“ bekannt. In ihr war er bis 2020 einer der Investoren und Juroren. Thelen versucht sich seit Jahren erfolgreich als Persönlichkeitsmarke im Markt zu etablieren; sein Themenfeld: Digitalisierung und Innovation, Unternehmensgründung und -führung. Er ist Blogger und in den sozialen Medien aktiv. 2018 erschien von ihm im Alter von 43 Jahren die Autobiografie „Startup-DNA: Hinfallen, aufstehen, die Welt verändern“; 2020 folgte das Buch „10xDNA: Das Mindset der Zukunft“. Zudem ist er als Redner aktiv.
Auch Thelen setzt bei seiner Selbstvermarktung auf ein Wechselspiel zwischen der analogen und digitalen Welt. Mit Erfolg! Er ist Mitglied des Innovation Council der Bundesregierung zum Thema Digitalisierung. Zudem ist er regelmäßig Gast in den großen Polit-Talkshows – was wiederum „Futter“ für seine Social Media Kanäle liefert.
Bei den Top-Managern in der DACH-Region findet man eine so gezielte Selbstvermarktung und -inszenierung noch sehr selten. Dabei betreiben wir permanent Personen-Marketing. Denn jede Online- oder Offline-Aussage oder -Reaktion von uns, ja sogar unsere eventuelle Social-Media-Abstinenz, trägt zu dem Gesamtbild bei, das andere Menschen von uns haben. Deshalb brauchen Führungskräfte, die ein Influencer-Leader bzw. eine „echte” Personen-Marke sein bzw. werden möchten, heute auch eine gewisse Medienkompetenz. Sie müssen die Stärken und Schwächen der verschiedenen Kommunikations- und Informationskanäle kennen und diese gezielt nutzen.
Influencer-Prinzip 5: Gehe klug mit Kritik und Angriffen um.
Wer in der Kommunikation mit anderen Menschen, seine Werte und Überzeugungen deutlich macht und etwas von seiner Person preisgibt, macht sich angreifbar. Influencer können ein Lied davon singen: Sie haben fast alle schon Shitstorms erlebt. Ein Grund für die sogenannten „Hate speechs“ ist oft Neid. In Unternehmen ist zudem ein häufiger Auslöser für überzogene Kritik: Angst vor Veränderung.
Führungskräfte sollten deshalb bei verbalen Angriffen zunächst analysieren: Was ist die eigentliche Quelle der Kritik? Ist die Quelle Angst, hilft eine verbale Gegenattacke wenig. Dann sollte die Führungskraft im Regelfall Verständnis zeigen, das Veränderungsvorhaben nochmals erläutern, Sicherheit vermitteln und gegebenenfalls Hilfen anbieten.
Auch bezogen auf den Umgang mit Kritik können Führungskräfte viel von den Influencern im Netz lernen. Erfahrene Influencer reagieren auf Kritik – zumindest nach außen erkennbar – nie beleidigt. Sie nutzen diese vielmehr als Chance, um mit ihren Followern in einen Dialog zu treten und ihnen die Gründe für ihr Handeln darzulegen. Sie gestehen zudem Fehler gemäß der Maxime „Shit happens, auch ich bin nur ein Mensch“ ein, entschuldigen sich hierfür und lernen hieraus.
Diese Souveränität im Umgang mit Kritik in den sozialen Medien fehlt noch vielen Personen und Organisationen. Das zeigte zum Beispiel 2019 die Reaktion der CDU auf das Video des Webvideoproduzenten und Musikers Rezo „Die Zerstörung der CDU“, in dem dieser u.a. die Versäumnisse der Unionsparteien in der Klimapolitik anprangert. Die anfänglichen Versuche der CDU, das Video als inhaltlich falsches Machwerk und seinen Macher als unbedarften Wichtigtuer abzuqualifizieren, führten erst dazu, dass sich auch die klassischen Medien auf das Thema stürzten und dadurch das Video allgemein bekannt wurde.
Deutlich „cooler“ reagierte der Influencer Rezo auf die Hasskommentare, die er nach der Veröffentlichung des Videos „Die Zerstörung der CDU“ erhielt. Er machte aus ihnen das Lied „Du bist hässlich wie ein Traktor“, das inzwischen selbst bei YouTube über 1 Million Mal aufgerufen wurde. Und die Kabarettistin und 3 Sat Festival Moderatorin Sara Bosetti nutzte die erhaltenen Hasskommentare für ihr Shitstorm-Buch „Ich hab nichts gegen Frauen, du Schlampe!“, in dem sie aus den Kommentaren Liebesgedichte machte.
Ähnlich souverän sollten Influencer-Leader auf Kritik reagieren, denn: Wo es eine Meinung gibt, gibt es meist eine begründete Gegenmeinung. Und auf deren Äußerung sollte man angemessen reagieren. Das heißt im Regelfall umgehend, respektvoll und wertschätzend.
Prinzip 6: Kommuniziere wertschätzend.
Profis im Bereich Online- bzw. Social-Media-Kommunikation überlegen sich, bevor sie kommunizieren, genau: Welche Botschaft möchte ich transportieren? Auf welchem Kanal? Und wie – per Foto, als Video oder Textnachricht? Und wie kommuniziere ich so, dass erkennbar ist: Ich bringe meinen Followern Sympathie und Wertschätzung entgegen?
Führungskräfte sollten sich von denselben Überlegungen leiten lassen, denn: Führung ist letztlich gezielte und strukturierte Kommunikation. Und in der Art, wie eine Führungskraft kommuniziert, drückt für ihr Gegenüber die Beziehung aus. Ob sie sich Zeit für ein Gespräch nimmt oder ihr Anliegen per Mail artikuliert, ob sie im Zweierkontakt ungeteilt aufmerksam ist oder zwischendurch aufs Smartphone schaut – aus all diesen Verhaltensweisen leiten Mitarbeiter ab, wie ernst sie genommen und sehr sie wertgeschätzt werden; also, ob sie von ihrer Führungskraft als Partner auf Augenhöhe oder als ein kleines Rädchen im Getriebe, das nur funktionieren muss, gesehen werden.
Influencer-Leader begegnen ihren Netzwerk-Partnern stets auf Augenhöhe. Sie kommunizieren mit ihnen wertschätzend und interagieren und kollaborieren mit ihnen so, dass dies den Teamgeist fördert und die kollektive Intelligenz mehrt. Sie leben ihren Followern Mut zur Veränderung vor, kalkulieren Fehler ein und nehmen unerwartete Herausforderungen wie Corona an, ohne öffentlich zu lamentieren, und versuchen sie zu meistern. Hierdurch beeinflussen sie auch die Haltung ihrer Mitarbeiter und setzen sie in ihrem Umfeld neue, zukunftsweisende Standards für die Kommunikation, Interaktion und Kooperation.
Barbara Liebermeister