Eine Metastudie des IFIDZ zeigt: Die Anforderungen an Führungskräfte werden im digitalen Zeitalter zwar vielschichtiger und komplexer, doch weiterhin bleibt die Beziehung von Mensch zu Mensch der entscheidende Erfolgsfaktor.
„Welche Kompetenzen benötigen Führungskräfte, um im Zeitalter der Digitalisierung erfolgreich zu führen?“. Um dies herauszufinden, analysierte das Institut für Führung im digitalen Zeitalter (IFIDZ) 61 Studien und Umfragen zum Thema Führung aus den Jahren 2012 bis 2018 und erstellte ein Kompetenz-Ranking.
Hiermit verfolgte das IFIDZ zwei Ziele:
- Den Verantwortlichen in den Unternehmen einen Impuls für eine intensive Reflexion und Auseinandersetzung mit den relevanten Führungskompetenzen im digitalen Zeitalter zu geben. Und:
- Ihre Sensibilität dafür zu schärfen, welche Führungskompetenzen im Kontext der digitalen Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft an Bedeutung gewinnen – verglichen mit den anderen Kompetenzen.
Untersucht wurden für die „Metastudie 2019: Führungskompetenzen im digitalen Zeitalter“ 61 Studien und Befragungen zum Themenkomplex Führung unterschiedlichen Charakters (wie Experteninterviews und -gespräche, Online-Befragungen), an denen insgesamt über 100,000 Personen teilnahmen – meist Führungskräfte, zum Teil jedoch auch Mitarbeiter und Wissenschaftler. Dabei umfasste die kleinste Befragungsgruppe acht und die größte 28.358 Personen.
Diskussion über Führung im digitalen Zeitalter ist ein fortlaufender Prozess
Beim Auswerten der Primärstudien, die der Metastudie zugrunde liegen, wurde vor allem analysiert, in wie vielen Studien werden gewisse Kompetenzen als relevante Führungskompetenzen genannt. Danach wurde von diesen Kompetenzen wiederum entsprechend der Häufigkeit ihrer Nennung in der Metastudie ein Kompetenz-Ranking erstellt.
Dabei war dem IFIDZ bewusst: Eine Analyse von 61 Studien und Umfragen allein kann kein verlässliches und abschließendes Bild der relevanten Führungskompetenzen im digitalen Zeitalter zeichnen. Dies auch deshalb nicht, weil die Diskussion darüber, welche Kompetenzen Führungskräfte künftig brauchen, eine fortlaufende ist, die in einem sich verändernden Umfeld stattfindet. In ihrem Verlauf verändert sich zudem die genutzte Terminologie.
So fällt zum Beispiel auf: In den 2012 bis 2015 erschienenen Studien werden die Begriffe Agilität, Ambidextrie und Disruption noch recht selten verwendet, weshalb sie in der Metastudie auch nicht in den Top-20 der am häufigsten genannten Kompetenzen stehen (siehe Grafik). Anders sieht dies in den im Zeitraum 2016 bis 2018 erstellten Studien aus. In ihnen spielt zumindest der Begriff Agilität fast durchgängig eine wichtige Rolle.
Insofern bedürfen auch die Ergebnisse der Metastudie selbst einer Interpretation. Dessen ungeachtet liefern sie jedoch einen guten Überblick über den aktuellen Stand der Diskussion über das Thema Führung und die Entwicklungslinien, die sich in ihr bezüglich der relevanten Anforderungen und Erwartungen an Führungskräfte im digitalen Zeitalter abzeichnen.
Analoge, analogitale und digitale Kompetenzen entwickeln
Insgesamt werden im Kompetenz-Ranking der Metastudie 86 Führungskompetenzen aufgelistet, die den Primärstudien zufolge, eine Relevanz für den Führungserfolg haben. Die absolut am häufigsten genannten Kompetenzen sind:
- Kommunikationsfähigkeit (57 Prozent),
- Veränderungsfähigkeit (39 Prozent) und
- Wertschätzung/Mitarbeiterorientierung (33 Prozent).
Dabei werden in der Metastudie drei Kompetenz-Arten unterschieden.
- „Analoge“ Kompetenzen: Sie umfassen Kompetenzen, die bereits im „vor-digitalen Zeitalter“ (z. B. in den 1980er Jahren) bekannt und relevant waren und die sich in ihrem Wesen und Inhalt nicht oder nur marginal geändert haben.
- „Analogitale“ Kompetenzen: Sie umfassen Kompetenzen, die zwar schon im „vor-digitalen Zeitalter“ bekannt und relevant waren, die sich aber durch die Digitalisierung in ihrem Wesen und Inhalt signifikant verändert haben.
- „Digitale“ Kompetenzen: Sie umfassen Kompetenzen, die im „vor-digitalen Zeitalter“ entweder noch nicht existierten oder kaum Bedeutung hatten und erst im Kontext der Digitalisierung relevant wurden.
Die in den Primärstudien am häufigsten genannten „analogen“ Kompetenzen sind:
- Veränderungsfähigkeit (39 Prozent),
- Wertschätzung (33 Prozent) und
- Innovationsfähigkeit (30 Prozent).
Die am häufigsten genannten „analogitalen“ Kompetenzen sind:
- Kommunikationsfähigkeit (57 Prozent)
- Netzwerkfähigkeit (26 Prozent) und
- Entscheidungsfähigkeit (25 Prozent).
Die am häufigsten genannten „digitalen“ Kompetenzen sind:
- Transparenzorientierung (31 Prozent),
- Digital-/IT-Kompetenz (28 Prozent) und
- Heterarchiefähigkeit (26 Prozent).
Die Ergebnisse der Führungsstudie im Detail
Aus der Auswertung der Primärstudien, die der Metastudie zugrunde liegen, lassen sich folgende Schlüsse bzw. Ergebnisse ableiten.
Ergebnis 1: Anforderungsprofil … die Führungskraft als „Master of the Universe“?
Den Primärstudien zufolge sollte eine Führungskraft im digitalen Zeitalter im Idealfall insgesamt 86 relevante Kompetenzen haben. Das heißt, das Anforderungsprofil an Führungskräfte ist so vielschichtig und komplex, dass die perfekte Führungskraft als „Master of the Universe“ erscheint.
Der Zahl 86 sollte jedoch nicht überbewertet werden, da der Begriff „Kompetenz“ in den Primärstudien nicht eineindeutig definiert ist. Zudem stehen die genannten Kompetenzen (bzw. Fähigkeiten, Fertigkeiten und Persönlichkeitsmerkmale) oft in einer Wechselbeziehung zueinander und variiert bzw. ändert sich die genutzte Terminologie. So werden zum Beispiel in den bis 2015 publizierten Studien recht häufig die Begriffe „Schnelligkeit“ und „Flexibilität“ als Kompetenzen genannt, in den später erschienenen Studien hingegen dominiert eher der Begriff „Agilität“. Zudem ist in ihnen mal von „Motivationsfähigkeit“, mal von „Inspirationsfähigkeit“ und mal von damit verknüpften Eigenschaften wie „Vorbild sein“, „Visionär sein“ oder „optimistisch sein“ die Rede. Deshalb ist Fazit zulässig: Führung im digitalen Zeitalter ist zwar anspruchsvoll, jedoch keine Aufgabe, die nur Menschen mit Superkräften bewältigen können.
Ergebnis 2: Kommunikationsfähigkeit ist die Top-1-Kompetenz … jedoch im Dialog, nicht Monolog!
Kommunikationsfähigkeit ist die mit Abstand am häufigsten genannte Kompetenz von Führungskräften im digitalen Zeitalter. In über der Hälfte der Studien (57 %) wird sie als wichtige Führungskompetenz genannt – also weit häufiger als die zweitplatzierte Kompetenz: Veränderungsfähigkeit (39 %). Dabei fällt auf: Die „dialogischen Kommunikationsfähigkeiten“ (wie Feedback-geben, Zuhören, Coachen) werden in den Primärstudien als weit relevanter angesehen als die „monologischen
Kommunikationsfähigkeiten“ (wie Storytelling oder Rhetorik). Der Dialog mit den Mitarbeitern wird im digitalen Zeitalter also als bedeutsamer für den Führungserfolg erachtet als der auf dem hierarchischen System basierende Top-down-Monolog mit ihnen.
Ergebnis 3: Leadership goes digital … bleibt jedoch analoger als das Business!
Die Führungskraft im digitalen Zeitalter erscheint
analoger als die Digitalisierung der Wirtschaft bzw. des Business der Unternehmen vermuten lässt. Kategorisiert man die 86 Kompetenzen hinsichtlich ihrer Beziehung zur Digitalisierung ergibt sich folgendes Bild: Von den 86 Kompetenzen können
- 72 Prozent als analoge,
- 15 Prozent als analogitale und
- 13 Prozent als digitale
eingestuft werden.
Das heißt, der Führungsprozess ist auch im digitalen Zeitalter ein weitgehend analoger, denn: Menschen führen Menschen. Auch wenn die Digitalisierung einen großen Einfluss auf fast alle Lebens- und Arbeitsbereiche hat, ersetzt sie die menschliche Beziehung nicht. Keinesfalls sollte angesichts dieser Tatsache jedoch die Bedeutung der „digitalen und analogitalen Kompetenzen“ unterschätzt werden: Von den Top-15-Kompetenzen haben acht, also mehr als die Hälfte einen entsprechenden Charakter.
Ergebnis 4: Führungskräfte bleiben Führungskräfte … sind jedoch auch Change-Manager und -Leader!
Die am zweithäufigsten genannte Kompetenz ist mit 39 Prozent die Veränderungsfähigkeit. Dabei sind die Handlungsfelder der Veränderung sehr weitreichend
und umfassend. Sie beziehen sich u.a. auf die Prozesse, Strukturen, (Mitarbeiter-)Beziehungen und Erwartungen, Geschäftsmodelle und-strategien, Haltungen und Einstellungen, Kommunikationsformen, Kompetenzanforderungen und selbstverständlich auch auf die Führung an sich. Dabei zeigen die Primärstudien deutlich: Der permanente Wandel ist im digitalen Zeitalter die größte Herausforderung für Führungskräfte. Führungskraft sein, bedeutet künftig zugleich Change-Manager und -Leader zu sein. Die Veränderungsbereitschaft und -fähigkeit mit all ihren Voraussetzungen und Wirkungen ist nicht ein, sondern das Führungsthema.
Ergebnis 5: Die Ziele erreichen … jedoch mit den Menschen!
Zu den Top-Kompetenzen von Führung zählen künftig auch die „Wertschätzung“ bzw. „Mitarbeiterorientierung“ mit 33 Prozent auf Rang 3. Dahinter steht die Anforderung, den Menschen bzw. Mitarbeiter ins Zentrum des Führungsprozesses zu stellen. Der Fokus des Führungshandelns sollte mehr auf die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiter sowie deren Potenziale, Stärken und Schwächen gerichtet sein und weniger auf die fachlichen Aufgaben. Die hohe Bedeutung der Mitarbeiterorientierung ist ein Zeichen dafür, dass sich Führung aus der Umklammerung des „sachlichen Managements“ löst. Im Zentrum der Führungsarbeit steht künftig weniger das Planen, Organisieren und Steuern der Prozesse im Arbeitsalltag, sondern das Motivieren, Integrieren, Befähigen und Ermächtigen – oder kurz Führen – der Mitarbeiter sowie die wertschätzende Kommunikation mit ihnen.
Ergebnis 6: Innovationsfähigkeit ist wichtig … aber bitte nicht zu disruptiv!
Auf Rang 5 steht mit 30 Prozent die Innovationsfähigkeit. Dahinter steckt die Anforderung, Neues zu erkunden, zu initiieren und zu ermöglichen. Die Handlungsfelder können sich hierbei u.a. auf neue Business-Modelle, neue Denkmuster, technologische Neuerungen, neue Prozesse und Strukturen und innovative Management-Skills beziehen. Die Innovationsfreude und -bereitschaft scheint jedoch Grenzen zu haben: Zu radikal bzw. revolutionär soll es offensichtlich nicht werden, denn das „disruptive Denken“ erreicht mit 7 Prozent im Kompetenz-Ranking nur Rang 56. Die Innovationsfähigkeit scheint also eher für eine „moderate“, europäische Digitalisierung zu stehen als eine „radikale“ Silicon-Valley-Digitalisierung. Viele Kompetenzen, die einen engen Bezug zu einer disruptiven Veränderung aufweisen, finden man denn auch erst im unteren Drittel des Kompetenz-Rankings (z. B. „Mut“, „Experimentierfreude“ und „Risikofähigkeit“).
Ergebnis 7: Transparenzorientierung … eine neue Kompetenz im digitalen Zeitalter!
Zu den Top-Kompetenzen zählt auch die „Transparenzorientierung“ mit 31 Prozent auf Rang 4. Dahinter steht die Anforderung an Führungskräfte, vor allem im Unternehmen und in den Beziehungen zu den Mitarbeitern und Kollegen für meine Transparenz zu sorgen – u.a. bezüglich der (eigenen) Werte und Ziele, des geplanten Vorgehens, der internen und externen Zwänge. Denn: Transparenz schafft Vertrauen, wirkt motivierend und bildet eine Grundlage für ein eigenständiges und -verantwortliches Arbeiten. „Transparenzorientierung“ sollte als neue Kompetenz im digitalen Zeitalter bewusst in den Fokus der Führungskräfteentwicklung und Führungsarbeit gerückt werden, denn: Transparenz ist nicht nur ein Wesensmerkmal der Digitalisierung und modernen Teamarbeit, sondern auch verhaltenswirksam – und somit ein Führungsinstrument.
Ergebnis 8: Digitalkompetenz ist wichtig … jedoch nicht am wichtigsten!
Zu den Top-10-Kompetenzen zählt auch die „Digitalkompetenz“ mit 28 Prozent auf Rang 7. In den Primärstudien werden hierzu Anforderungen an die Führungskraft genannt wie ein übergreifendes technologisches Grundverständnis, IT-Kompetenz, Datenverständnis und -analyse sowie „ein fundiertes Wissen in den Bereichen E-Commerce, Social Media, Mobile, Big Data und digitale Technologien“.
Interessant ist, dass die „Digitalkompetenz“ nur auf Rang 7 steht – obwohl viele Unternehmen sich im digitalen Transformationsprozess befinden, der häufig bestimmt ist von digitalen Technologien, die zu Disruptionen führen, und für den seit einigen Jahren auch eine neue Art der Führung proklamiert wird: Digital Leadership. Trotzdem befindet sich die „Digitalkompetenz“ – bezogen auf das Thema Führung – nicht unter den Top-3-Kompetenzen. Das liegt primär daran, dass Führung auch im digitalen Zeitalter trotz der veränderten (Kommunikations-)Strukturen und Beziehungen ein weitgehend analoger Prozess bleibt, in dem der Faktor Vertrauen eine zentrale Rolle spielt. In ihm benötigen die Führungskräfte im Digital-Bereich zwar eine Beurteilungskompetenz, um entscheidungs- und handlungsfähig zu sein. Die (Fach-)Experten bzw. Spezialisten in diesem Bereich sind sie in der Regel jedoch nicht, weshalb die „Digitalkompetenz“ auch keine zentrale Schlüsselkompetenz von ihnen ist.
Bei Führungskräfteentwicklung inkrementell vorgehen
Aktuell überdenken viele Unternehmen ihre Führungskräfte-Entwicklung – u. a weil ihnen bewusst ist, dass ihre Führungskräfte in der von rascher Veränderung und sinkender Planbarkeit geprägten VUKA-Welt sowie im digitalen Zeitalter ein teils anderes Kompetenzprofil brauchen. Unklar ist ihnen jedoch oft noch, welche Kompetenzen dies konkret sind. Die Ergebnisse der Metastudie können ihnen beim Beantworten dieser Frage einige Impulse geben.
Beim Entwickeln ihrer neuen Führungskräfte-Entwicklungsprogramme sollten die Unternehmen jedoch – ähnlich wie beim Bearbeiten solcher Themen wie „Innovation“ und „Agilität“ – inkrementell und iterativ vorgehen. Das heißt, sie sollten im Dialog mit ihren Führungskräften einen (Lösungs-)Versuch wagen, dann die Erfahrungen reflektieren und anschließend das Vorgehen neu oder nach-justieren.
Dass dies im Dialog mit den Führungskräften geschieht, ist wichtig. Sonst besteht die Gefahr, dass bei ihnen – angesichts der vielen Anforderungen, die an sie gesteht werden – das Gefühl entsteht „Wir werden beim Entwickeln unserer Kompetenz allein gelassen“. Dies ist auch wichtig, damit sich die Suche der Führungskräfte nach Antworten auf die Frage „Wie sollen wir im digitalen Zeitalter führen?“ in dieselbe Richtung bewegt und in der Organisation allmählich eine neue gemeinsame Führungskultur entsteht.
Barbara Liebermeister, Patrick Merke
Zu den Autoren
- Barbara Liebermeister leitet das Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ), Frankfurt (www.ifidz.de). Die Managementberaterin und Vortragsrednerin ist u.a. Autorin des Buchs „Digital ist egal: Mensch bleibt Mensch – Führung entscheidet“.
- Patrick Merke ist Mitglied der Institutsleitung des IFIDZ. Er verantwortet im IFIDZ den Bereich Business Development und ist in ihm zuständig für Strategie- und Organisationsfragen. Außerdem zeichnet er für die IFIDZ-Studien verantwortlich.