Mikroaggressionen in Führung – Das stille Gift für Vertrauen im Team
Mikroaggressionen in Führung – Das stille Gift für Vertrauen im Team
15.Juni 2025 Diversity, Equity, Inclusion – auf dem Papier klingt das stark. Es wird darüber gesprochen, gepostet, Workshops werden dazu gemacht. Doch die eigentliche Frage lautet: Wie viel davon wird im Alltag wirklich gelebt? Oder anders gesagt: Hat „Walk your Talk“ längst ausgedient – und bleibt Vielfalt bei vielen ein Lippenbekenntnis?
In Gesprächen mit Führungskräften höre ich oft: „Wir machen da schon was.“ Ja – es gibt Programme, ein neues Leitbild, vielleicht sogar einen „DEI-Beauftragten“. Aber wenn ich dann frage: „Und wie zeigt sich das konkret in eurem Führungsalltag?“, wird es meist still. Denn: Die großen Strategien scheitern oft an den kleinen Gesten.
Warum DEI alleine nicht reicht
DEI steht für Diversity, Equity & Inclusion. Ein Begriff, der längst in Unternehmen angekommen ist – zumindest auf der Oberfläche. Broschüren, Webseiten, interne Newsletter – alles wirkt modern, offen, divers. Und trotzdem berichten mir Mitarbeitende immer wieder: „Ich habe das Gefühl, ich muss mich doppelt beweisen.“ Oder: „Mein Akzent wird regelmäßig kommentiert.“ Oder: „Ich werde in Meetings übersehen – obwohl ich Expertise habe.“
Das sind keine Einzelfälle. Das sind Mikroaggressionen. Kleine, oft unbewusste Bemerkungen oder Verhaltensweisen, die andere ausschließen, herabwürdigen oder außen vor lassen. Und ja – sie sind selten böse gemeint. Aber sie wirken. Und zwar tief.
Gerade in der Führung, wo jedes Wort mehr Gewicht hat, können Mikroaggressionen das Vertrauen im Team unterhöhlen – langsam, schleichend, aber spürbar.
Neurowissenschaftlich betrachtet reagieren wir auf Mikroaggressionen mit denselben Stressmustern wie auf körperliche Bedrohung: Das sogenannte „soziale Schmerznetzwerk“ im Gehirn (u. a. Anteriorer cingulärer Cortex) wird aktiviert. Die Folge: Selbstzweifel, Rückzug und Misstrauen. Besonders kritisch: Unser Gehirn speichert diese feinen Ausgrenzungserlebnisse länger als objektive Fakten – eine toxische Mischung für Teamkultur.
Mikro statt mega: Wie subtiler Machtmissbrauch aussieht
Es beginnt nicht mit dem großen Aufschrei – sondern mit einem schiefen Lächeln, einer ironischen Bemerkung oder einem nicht enden wollenden Monolog in Meetings. Und irgendwann fragt sich jemand: „Bin ich hier eigentlich gemeint? Oder überempfindlich?“
Ein paar Beispiele, die ich in Coachings und Workshops immer wieder höre:
Eine junge Frau bringt eine Idee ein. Der Chef reagiert: „Danke, wir hören später nochmal von den Erfahreneren.“
Ein Kollege aus einer anderen Abteilung wird bei Entscheidungen übergangen, obwohl er Experte auf dem Gebiet ist – der Kommentar dazu: „Du bist ja eher Fachkraft als strategisch denkend.“
Eine introvertierte Mitarbeiterin wird nach Präsentationen nie gelobt – der extrovertierte Kollege hingegen bekommt Applaus für dieselbe Leistung.
Die Botschaft ist nie laut – aber sie ist eindeutig: „Du gehörst nicht ganz dazu.“ Oder: „Du bist nicht so viel wert.“
Das muss nicht mit Absicht geschehen. Doch genau das macht Mikroaggressionen so schwer greifbar – und so gefährlich.
Warum Mikroaggressionen kein Soft-Skill-Thema sind
Manche sagen: „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen.“ Oder: „Ich meine das doch nicht böse.“ Aber Führung heißt heute mehr denn je: Wirkung vor Absicht.
In Phasen von Stress, Unsicherheit oder Veränderung rutschen uns allen Dinge raus. Aber als Führungskraft hast du eine andere Strahlkraft. Und das bedeutet: Du brauchst ein feines Gespür für Sprache, Körpersignale und unausgesprochene Botschaften.
Die Forschung zeigt: Unser Gehirn speichert Ausgrenzungserlebnisse mit hoher Priorität ab – weil Zugehörigkeit ein archaisches Grundbedürfnis ist. Fehlt diese Zugehörigkeit, leidet das Engagement – selbst, wenn niemand laut protestiert.
Ich erinnere mich an einen Fall aus einem internationalen Unternehmen: Eine Führungskraft sprach im Monatsmeeting immer wieder von „unseren Leuten“ – meinte damit aber nur das Headquarter-Team. Die Mitarbeitenden im Außendienst oder mit anderem kulturellen Background fühlten sich dauerhaft ausgegrenzt – subtil, aber wirksam.
Wie gehe ich mit Mikroaggressoren um?
Eine der häufigsten Fragen in Workshops: „Und was mache ich, wenn jemand in meinem Umfeld solche Dinge sagt – oder ich selbst ertappt werde?“ Hier ist die Antwort: Nicht verurteilen, sondern verlangsamen.
In Führungssituationen: Lieber einmal mehr nachfragen („Wie hast du das gemeint?“), statt sofort zu werten. Oft liegt keine böse Absicht vor – aber eine Lernchance.
Als Beobachterin: Freundlich, aber bestimmt den Effekt ansprechen: „Ich glaube, das kam gerade anders rüber, als du meintest.“
Bei sich selbst: Wenn du dich selbst ertappst – nimm es als Einladung zur Weiterentwicklung. Führung heißt auch: sich selbst beim Lernen zu beobachten.
Mikroaggressionen lassen sich nicht „wegoptimieren“. Aber sie lassen sich sichtbar machen – und in Mikroachtsamkeit verwandeln.
Fazit: Es sind nicht die großen Entscheidungen, die Vertrauen formen – es sind die kleinen Signale.
Mikroaggressionen sind kein Modethema und kein Randproblem. Sie sind das feine Gift, das Vertrauen zersetzt. Und sie passieren oft genau dort, wo wir eigentlich Haltung zeigen sollten.
Echte Führung beginnt dort, wo ich mich frage: Wie wirke ich – selbst, wenn ich nichts sage?
Wer diesen Mut hat, schafft Räume, in denen Menschen sich zeigen dürfen – ohne sich ständig schützen zu müssen.